Für Heiko Herrlich war die Rollenverteilung gegen den
Tabellenzweiten klar: "Leipzig steht da, wo wir gerne wären", sagte
er vor der Partie gegen den Vizemeister. Daraus ergab sich für das Heimspiel
gegen das Team von Ralph Hasenhüttel freilich auch die verlockende Gelegenheit,
näher an die Leipziger heranzurücken. Das gelang nicht. Die Werkself bleibt
nach dem 2:2 (1:1) gegen die Sachsen vorerst in der Rolle des lauernden Jägers
mit dem oberen Tabellendrittel im Visier. Die Startelf gegen Leipzig modifizierte
Herrlich im Vergleich zum 1:1 in Augsburg vor der Länderspielpause nur
geringfügig. Für den rippenbruchgeplagten Abwehrchef Sven Bender rückte Dominik
Kohr in die Anfangsformation. Der Schweizer Admir Mehmedi ersetzte den
Österreicher Julian Baumgartlinger, der mit einem Bankplatz vorliebnehmen
musste, ebenso wie die beiden Zugänge Lucas Alario und Panagiotis Retsos.
Auf der Gegenseite stand der Ex-Leverkusener Kevin
Kampl in der Startelf. Der frisch erblondete und in Leverkusen ausgebildete
slowenische Nationalspieler wurde bei jedem Ballkontakt mit Pfiffen bedacht.
Seinen Last-Minute-Wechsel im Sommer zum in vielen Stadien ohnehin nicht
beliebtheitspreisverdächtigen Ligakonkurrenten hat ihm die Nordkurve der
BayArena erwartungsgemäß nicht verziehen, obwohl er knapp 15 Jahre das Trikot
der Werkself überstreifte. Taktisch hatte Bayers Coach eine Überraschung parat:
Statt des bisher etablierten 4-4-2 setzte er zunächst auf ein 3-4-3. Wendell,
Jonathan Tah und Kapitän Lars Bender bildeten die Dreierkette. Die
Angriffsreihe bestand aus Leon Bailey sowie Julian Brandt auf den Flügeln – und
in der Mitte Kevin Volland. Mehmedi und Youngster Kai Havertz bildeten mit Kohr
und Charles Aránguiz das Vierer-Mittelfeld. Es war im Grunde eine Rückkehr zur
Formation der eher schwachen Anfangsphase der Saison. In den ersten zehn Minuten
war Leipzig optisch leicht überlegen, ohne jedoch wirklich zwingend zu sein.
Von Leverkusener Angriffsbemühungen war bis auf eine geblockte Flanke von
Julian Brandt (9.) nicht viel zu sehen. So war es kein Wunder, dass ein
Elfmeterpfiff von Schiedsrichter Harm Osmers die erste wirklich nennenswerte
Szene des Spiels war. Kampl spielte den Ball von der rechten Seite zu Werner,
der im Strafraum zu Marcel Sabitzer weiterleiten wollte, der wiederum von
Mehmedi festgehalten wurde. Werner ließ sich die Chance nicht entgehen und
verwandelte sicher ins linke Eck zur Führung der Gäste (13). Die direkte
Antwort: Brandt dribbelte sich gefühlt über das halbe Spielfeld, ohne vom Ball
getrennt werden zu können, legte dann sogar noch klug ab auf Elfmeter-Sünder
Mehmedi, dessen Schuss das Leipziger Tor allerdings klar verfehlte (15.). Die
Gastgeber ließen daraufhin den Ball gefällig zwischen Mittelkreis und
gegnerischem Strafraum laufen, ohne jedoch nutzbare Räume zu finden. Leon
Bailey nahm etwas später Maß, nachdem Volland ihm den Ball per Kopf
weiterleitete – daneben (22.). Kohrs Versuch aus der zweiten Reihe ging drüber
(26.). Und Leipzig? Verwaltete zunächst gut gestaffelt die Führung, um auf
gelegentliche Konter zu setzen. Das ist ein ebenso effektives, wie
kraftsparendes Konzept. Immerhin wartet in der Champions League am Dienstagabend
die schwere Aufgabe beim AS Monaco (20.45 Uhr). Leverkusen fehlte trotz
geballter Offensivkraft lange Zeit die zündende Idee – bis sich Wendell den
Ball schnappte, beherzt durch die Leipziger Reihen dribbelte, genau im
richtigen Moment in den Lauf von Brandt passte, der völlig frei vor Leipzigs
Keeper Gulasci die 100-prozentige Chance ungenutzt ließ (38.). Sein Schuss ging
zwar knapp rechts vorbei, doch er war wie ein Weckruf für die Leverkusener, die
daraufhin das Tempo erhöhten und durch Bailey kurz vor der Pause doch noch zum
verdienten Ausgleich kamen (44.). Die Vorlage lieferte Kohr, der den Ball kurz
vor dem Strafraum perfekt auf den Jamaikaner durchsteckte. Der 20-Jährige blieb
cool und spitzelte die Kugel mit dem linken Außenrist an Gulasci vorbei.
Zur Halbzeit stellte Herrlich defensiv wieder auf eine
Viererkette um und Benjamin Henrichs ersetzte den schwachen Mehmedi. Bayer 04
wollte offensichtlich genau da weitermachen, wo es aufgehört hatte. Vollands
starker Kopfball nach einer Flanke von Henrichs verpasste sein Ziel nur um
Zentimeter (48.). Auch danach stand der eingewechselte Youngster im Mittelpunkt
– diesmal aber unrühmlich. Er leistete sich bei einem Klärungsversuch ein
Handspiel auf der Linie, nachdem Leno bereits geschlagen war, und sah die Rote
Karte. Den fälligen Strafstoß verwandelte Emil Forsberg sicher (54.). Jetzt war
nicht nur auf den Rängen richtig Musik in der Partie. Die Werkself reagierte
wütend und kam durch Volland und Havertz zu einer hochkarätigen Doppelchance
(55.), die nicht zum erhofften direkten Gegenschlag führte. Erneut Havertz war
es, dessen Schuss geblockt wurde (63.). Leverkusen presste angestachelt von den
Zuschauern aggressiv wie selten und drängte in Unterzahl die Leipziger tief in
die eigene Hälfte. Etwas Zählbares sprang dabei aber vorerst nicht heraus – bis
Kevin Volland mit einem sehenswerten Treffer in Seitenlage das hochverdiente
2:2 erzielte (74.). Lars Bender spielte den Ball auf den Torjäger, nachdem
Leipzigs Abwehr mehrfach daran gescheitert war, die Situation nach einer Ecke
nachhaltig zu klären. Einen viel eindrucksvolleren Beleg für den Teamgeist der
Leverkusener hätte es nach dem Platzverweis nebst Elfmeter kaum geben können –
sehr zur Freude der feiernden Nordkurve, die im weiteren Verlauf dieser mitreißenden
Partie ohne weitere Treffer sogar vergaß, Kevin Kampl weiterhin auszupfeifen.
Bayer 04: Leno – L. Bender, Tah, Wendell – Mehmedi
(46. Henrichs), Kohr (86. Bellarabi), Aránguiz – Brandt, Havertz, Volland (90.
Retsos), Bailey
Tore: 0:1 Werner (13., Foulelfmeter), 1:1 Bailey, 1:2 Forsberg
(54., Handelfmeter), 2:2 Volland (74.)
Zuschauer: 30.210
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